Saturday, July 16, 2011

Luzie Cheng

Ich wurde am Abend des 15. Juli 1900 als Tochter von Margarete Schreiber-Cheng und Ning Cheng und als ein Teil von eineiigen Zwillingen in Hamburg geboren. Mein vollständiger Name ist eigentlich Bao Luzie Cheng, aber ich wurde immer Luzie, nach meiner Großmutter, genannt. Meine Schwester Juan Lilith Cheng wurde zwei Minuten nach mir geboren. Sie wurde, wie man es sich denken kann, Lilli genannt.

Die Zeiten waren schlecht. Es gab kaum Arbeit und die Wohnverhältnisse waren erbärmlich. Außerdem hatten die Hamburger Gesellschaft Probleme mit einer Familie, die halb chinesisch war. Meine Mutter bekam eine Anstellung als Hausmädchen bei einer Reederfamilie im noblen Blankenese.

Sie war dort Mädchen für alles. Glücklicherweise waren ihre Arbeitgeber sehr weltoffen und sorgten dafür, dass meine Schwester und ich die Schule besuchen konnten.

Die Zeiten wurden besser und glücklicher, bis mein Vater nach dem Verzehr von verdorbenen Fisch, an einer Fischvergiftung starb und die Reederei Bankrott anmelden mußte.

Lilith und ich waren damals 10 Jahre alt. Meine Mutter war nun Witwe, hatte keine Arbeit mehr und war kurz davor unsere kleine Bleibe in Hamburg-Altona zu verlieren.

Da bekamen wir Post von einer Tante aus Angermünde. Sie schrieb, sie bräuchte Hilfe in der kleinen Pension, die sie führte und sie hätte Platz genug für uns drei.
Wir hatten kein Geld, um mit der Bahn dorthin zu fahren. Also machten wir uns mit ein paar Habseligkeiten und einem Bollerwagen zu Fuß auf den Weg.

Wir übernachteten in Scheunen und im Wald, denn es war Juli und warm, und manchmal halfen wir bei Bauern auf dem Hof und verdienten uns so unser Essen. Kurz vor unserem Ziel wurde unsere Mutter krank und sie musste in ein Hospital. Man sagte uns, sie hätte die Schwindsucht und könnte nicht weiter mit uns gehen.

Wir durften aber auch nicht im Hospital bleiben.
Das waren die schlimmsten Wochen in meinem bisherigen Leben, denn Lilith und ich wurden getrennt.

Unsere Tante wollte uns nicht haben, da sie nicht noch zwei weitere Mäuler stopfen wollte.

Lilith kam zu einer Bauernfamilie in der Nähe von Schwerin und ich zu einer Familie in Bernau.

Von meiner Tante habe ich dann noch erfahren, dass unsere Mutter ein Tag später verstarb und in einem Armengrab beigesetzt wurde. Ich habe nie erfahren, wo.

Ich besuchte in Bernau weiter die Schule und nach den Schularbeiten, hatte ich im Haushalt zu helfen.

Meine Adoptiveltern waren nett zu mir und ich durfte sogar die Mittelschule beenden.

Leider hatte ich in Bernau keine Möglichkeiten, einen Beruf zu erlernen. Und ein Ehemann mit einer prall gefüllten Brieftasche war auch nicht erreichbarer Nähe. Ich ging also nach Berlin, um dort Arbeit zu finden.

Ich streunte also ziemlich ziellos durch Berlin und überlegte, wie und wo ich die Nacht verbringen könnte. Ich kannte Berlin nicht und hatte Angst. Als ich hungrig und mit Tränen der Verzweiflung in den Augen vor einer Schlachterei stand, sprach mich auf einem Mal eine Frau an. Es war meine alte Schulfreundin aus Bernau, Auriga Elan.

Sie war schon vor mir nach Berlin gegangen und hatte hier einen wohl situierten Mann geheiratet. Inzwischen war sie Witwe, da ihr Mann es vorgezogen hatte, sich von seinem Roulettepartner erschiessen zu lassen.
Aber sie hatte immer noch ihre Wohnung in der Friedrichstraße und bot mir sofort an, dort mit einzuziehen.
Seither lebe ich nun dort und fühle mich auch sehr wohl.

Und um das Ganze perfekt zu machen: In der Schlange vor dem Billetschalter am Bahnhof Alexanderplatz habe ich meine Zwillingsschwester wiedergefunden.

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